Nachtwächteranekdoten: Das Einstellungsverfahren

Nachtwächteranekdoten: Das Einstellungsverfahren

Pulwerköppe in alten Quellen: Seit den ersten Plänen zur Gründung unserer Gruppierung haben wir der historischen Forschung einen großen Stellenwert eingeräumt.

Immer wieder werden wir gefragt, was genau darunter zu verstehen sei. Daher werden wir hier in nächster Zeit immer mal wieder unsere Erkenntnisse präsentieren und dabei den ein oder anderen „Schmankerl“ zu den Nachtwächterpersönlichkeiten der Vergangenheit zum Besten geben, denn diese waren wahrlich „nicht ohne“. Die Quellen haben wir dem Stadtarchiv entnommen, deren ehrenamtlichen Mitarbeitern wir auf diesem Wege ein großes Dankeschön aussprechen wollen!

Wie lief ein Nachtwächter-Einstellungsverfahren ab?

Die Quellen: Bürgermeister-Schriftwechsel aus den Jahren 1927 und 1901 (Stadtarchiv)

Stell dir vor, du würdest dich für eine Stelle bei der Stadt interessieren und plötzlich würde jemand während des Bewerbungsverfahrens in deinem Umfeld herumschnüffeln bzw. gewisse „Erkundigungen“ einholen? Ein solcher massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte wäre für heute undenkbar. Dies galt aber gewiss nicht für die historischen Nachtwächter Corbachs! Zwei Schriftquellen aus dem 20. Jahrhundert verdeutlichen, nach welchen Kriterien die Stadt Corbach Personen für den Nachtwächterdienst ausgewählt hat. Gleichzeitig wird ersichtlich, welche Fehltritte sich die Nachtwächter wohl des Öfteren leisteten…

Im Jahre 1927 wurde Friedrich Fingerhut in seinem Heimatort Oberwerbe ein Führungszeugnis ausgestellt, in welchem er als „ehrenhaft“ betitelt und als Mann ohne Vorstrafen dargestellt wurde. Dies wirkt noch recht gewöhnlich, schließlich gibt es auch heute noch das polizeiliche Führungszeugnis.

Führungs-Zeugnis
Dem am 25. August 1894 zu Basdorf (Kreis Frankenberg geborenen Schuhmacher Friedr. Fingerhut, seit der Kindheit hier wohnhaft wird bescheinigt, daß er ein treuer ehrenhafter Mensch ist und daß von polizeilicher Seite aus gegen denselben noch nichts vorgefallen ist.
Oberwerba, den 4. November 1927
Der Bürgermeister

Buergermeister Oberwerba 1927

In seiner Antwort erkundigt sich der Corbacher Bürgermeister danach, inwieweit Fingerhut „energisch und Zielbewußt“ und für den Nachtwächterdienst geeignet sei. Es wird deutlich, dass der ein oder andere Nachtwächter in der Vergangenheit seinen Dienst nicht wie gefordert „unter Einsatz seines Lebens“ verrichtet hat, sondern es etwas lockerer angehen ließ. Dann kommt zur Sprache, durch was die Zuverlässigkeit bisweilen ein bisschen eingeschränkt worden sein dürfte: „Ist er unbedingt nüchtern?"

Corbach, 7. November 1927.
Ich nehme Bezug auf das mitübersandte Führungszeugnis über den Friedrich Fingerhut und bitte Sie ergebenst mir noch mitteilen zu wollen, ob Sie den Fingerhut für geeignet halten zur Ausübung des Nachtwächterdienstes in Corbach. Ist Fingerhut energisch und Zielbewußt? Ist er fähig, wenn nötig, unter Einsetzung seines Lebens den polizeilichen Nachtdienst auszuüben? Ist er unbedingt nüchtern und in jeder Weise zuverlässig?
An den Herrn Bürgermeister in Oberwerba Kr. Frankenberg

Buergermeister Corbach 1927

Diesbezüglich konnte der Bürgermeister Oberwerbes seinen Corbacher Amtskollegen beruhigen, indem er Fingerhut als „sehr nüchterne[n] Menschen“ charakterisierte. Fingerhut wurde schließlich eingestellt und verrichtete bis November 1934 seinen Dienst.

Oberwerba, den 11. Nov. 1927
An das Bürgermeisteramt Corbach i. Waldeck
Auf die werte Zuschrift vom 7. D. Mts. [Nr.] dem Bürgermeisteramt Korbach […] zur Kenntnis, daß Friedr. Fingerhut ein sehr nüchterner u. zuverlässiger Mensch ist. Ob sich derselbe zu Nachtwächterdienste eignet, kann ich nicht feststellen.
Der Bürgermeister

Buergermeister Oberwerba 1927 2

Noch weiter ging man im Jahre 1901, als sich der Gärtner Heinrich Saleik, gebürtig aus Klein-Maischeid, auf die Stelle des Corbacher Nachtwächters bewarb. So stellte Bürgermeister von Hanxleden nicht nur die scheinbar obligatorische Frage zu Vorstrafen und Alkoholkonsum, vielmehr wollte er auch wissen, ob Saleik in „sittlicher und politischer Beziehung“ einen guten Ruf habe. Als wäre dieser massive Eingriff in die Persönlichkeitsrechte nicht genug, erkundigte sich der Corbacher Bürgermeister auch noch nach dem Ruf der Angehörigen Saleiks!

Corbach, den 28. Dez. 1901
Der Gärtner Heinrich Saleik, geboren am 10. Oktober 1873 zu Klein-Maischeid, unverheiratet, bewirbt sich um die Stelle als Nachtwächter. Er gibt an, sein Vater sei todt, die Mutter lebe noch und er habe einen Bruder, der Förster in Königlichem Dienste sei.
Die Polizeiverwaltung bitte ich ergebenst um gefällige Beantwortung nachstehender Fragen: 1. Ob vorstehende Angaben auf Wahrheit beruhen; 2) ob derselbe in jeder Weise nüchtern und zuverlässig ist, 3) ob über denselben etwas bekannt ist, was ihn zur Anstellung ungeeignet macht, 3) ob er Strafen und eventuell welche erlitten hat, 4) ob er in politischer und sittlicher Beziehung einen guten Ruf hat und 5) ob seine Angehörigen einen guten Ruf genießen.
Um mögliche Beschleunigung der Antwort wird ergebenst ersucht.
Der Bürgermeister

Buergermeister Corbach 1901

Buergermeister Corbach 1901 2

Der Bürgermeister aus Saleiks Heimatort konnte in dieser Angelegenheit jedoch nicht weiterhelfen:

Der Bürgermeister
Diedorf, den 2. Januar 1902.
Zurückgesandt mit dem Bemerken, daß der p. Saleik, da er schon als Kind mit seinen Eltern von Klein-Maischeid selbst […] verzogen ist, hier gänzlich unbekannt ist. Die Verhältnisse p.p. seiner Angehörigen sind ebenfalls hier nicht bekannt. Strafen hat der p. Saleik ausweislich der Strafliste nicht erhalten.
Der Bürgermeister
(14.01.02)

Buergermeister Diedorf 1902

Die beiden Schriftwechsel liefern wertvolle Informationen

Erkenntnisse
Von Persönlichkeitsrechten konnten die historischen Nachtwächter Corbachs bestenfalls träumen – vor der Einstellung wurden ihr Privatleben und das der Angehörigen unter die Lupe genommen. Hierbei zählten auch „sittliche“ Werte und politische Ansichten. Von den Corbacher Nachtwächtern wurde erwartet, dass sie ihren Dienst unter Einsatz ihres Lebens verrichten.

Der ein oder andere Nachtwächter dürfte mit Unzuverlässigkeit geglänzt und sich das ein oder andere Mal während der Nachtwache „einen genehmigt“ haben. Die Nachtwache war ja bekanntlich ein knochenharter (und wohl bisweilen auch feuchtfröhlicher) Beruf!

Last modified onMontag, 30 Dezember 2019 20:35
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